Svenja Eichhorn und Philipp Kuwert haben eine an der Universität Greifswald initiierte Studie veröffentlicht, die erstmals systematisch der Frage nachgeht, inwiefern Vergewaltigungen von Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs zu nachhaltiger psychotraumatischer Belastung geführt haben. Etwa zwei Millionen Frauen sollen in den letzten Kriegsmonaten 1945 in Deutschland und angrenzenden Gebieten vergewaltigt worden sein. Diese hohe Zahl steht in auffallendem Kontrast zum fast durchgängigen, schambesetzten Schweigen, welches die Verarbeitung dieses Traumas zur Privatsache erhoben hat.
Die Studie von Eichhorn und Kuwert hat 27 betroffene Frauen als Opfer sexueller Gewalt qualitativ und quantitativ befragt und Umfang und Chronizität einer posttraumatischen Belastungsstörung ermittelt. Erhellend für den Leser ist hierbei die Erkenntnis, dass die seelische Belastung der Vergewaltigung durch die Verbindung mit zusätzlichen Traumatisierungen (etwa Heimatverlust, Mitansehen von Erschießungen, erzwungenes Umbetten von Leichen) häufig verstärkt war. Die Autoren sprechen von durchschnittlich 10,8 erlebten Traumata, eine erschütternd hohe Zahl. Differenzierend wirkt auch die Untersuchung der Anzahl der Vergewaltigungen. Denn ein Großteil der Frauen wurde mehrfach vergewaltigt. Diese Studie führt im Mittel 12,5 Vergewaltigungen pro Frau auf. So kann kaum überraschen, dass auch mehr als 65 Jahre nach Kriegsende etwa die Hälfte der untersuchten Frauen die Symptome einer voll oder partiell ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung aufwies.
Das Buch ächzt unter dem hohen Anspruch exakter Wissenschaftlichkeit. Schade, dass Autoren und Leser sich so mühevoll am harten Brot von Validität, Objektivität und Repräsentativität, empirischen Skalen, Stichproben und Diagnoseschlüsseln abarbeiten. Zwar schinden die Zahlen intellektuell durchaus Eindruck, ihre vielfältige, schwierige und schambesetzte und oft sicher auch widersprüchliche emotionale Aufladung aber vermögen sie nicht ansatzweise zu vermitteln. Die wenigen, eingestreuten Zitate aus den qualitativen Interviews im Buch lassen den Wunsch eher dringlicher werden, das Erleben der Frauen weit umfassender zu erfahren. Psychotherapeuten wissen von den seelischen Spuren der Kriegstraumatisierungen, die sich häufig auch in den emotionalen Konflikten der Enkel fortschreiben.
Die von Eichhorn und Kuwert vorgelegte Studie ist wichtig, weil sie den Stand der bisherigen Forschung zu sexuellen Kriegstraumatisierungen umfassend darstellt und einige fundierte neue Erkenntnisse zusammenträgt. Der auffallenden, auch wissenschaftlichen Zurückhaltung in der Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt wirkt es somit erfreulich entgegen. Zu wünschen bleibt, dass es eher Ausgangs- denn Endpunkt einer Annäherung bildet, die sich dem Erleben und Verarbeiten kriegsbedingter Vergewaltigungen verschreibt.